Wo ist die Mitte?
Heute sind es progressive Lehrmethoden und pädagogische Neuerungen, die ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Durch Kampagnen der Neokonservativen wird die Befürchtung genährt, dass die extremistische Linke sich jenseits akademischer Kreise dafür einsetzt, bestimmte Gesten, Ausdrücke und Themen als Tabuzone zu definieren. Wir sehen hier ideologische Macht am Werk. Die Aneignung eines Begriffs, die Verzerrung seiner Bedeutung und die Verklärung zum Mythos. Verdrehungen, Übertreibungen und anekdotenhafte Argumentationsstrategien helfen dabei, progressive Ideen ins Lächerliche zu ziehen.
Jordan Peterson steht im Grunde auf Seite der Liberalen, obwohl er im politischen Spektrum bereits als fast alles angesehen wurde, von einem faschistischen Apologeten über einen traditionalistischen Konservativen bis hin zu einem radikal-liberalen Aufklärer. Wie bei einem Rohrschach-Test sehen die Menschen in ihm, was sie sehen wollen. Er bringt Verständnis auf für die Anliegen und Ansichten der LGBT-Szene. Dennoch wird er aufgrund seiner Bemühungen um tabufreie Kommunikation angefeindet und ins rechte Lager gerückt. Denn wie bereits erwähnt wurde der Begriff seit Beginn der 1990er Jahre von der populistischen Rechten im abwertenden Sinn als politischer Kampfbegriff verwendet. Der Psychologieprofessor befindet sich zwischen den Fronten. Er ist Vermittler. Doch es scheint unmöglich, die persönliche Verwicklung in politische Grabenkämpfe zu vermeiden. Das Reagieren im politischen Feld überlagert und beeinträchtigt die philosophische und psychologische Sphäre. Er gibt sein Bestes, um zu verhindern, dass Antidiskriminierungsmaßnahmen als Bevormundung und Freiheitseinschränkung gedeutet werden. Ohne sich mit einer der beiden Seiten zu identifizieren. Ohne sich mit einer der beiden Ideologien zu infizieren. Andererseits versucht er zu verhindern, von der politischen Rechten vereinnahmt zu werden, einer Szene, mit der er sich zeit seines Lebens auseinandergesetzt hat. Seinem Vater schreibt er 1986 in einem Brief, dass seine Träume von Zerstörung und Krieg handeln, und dass er seine Ängste hinsichtlich totalitärer Systeme kommunizieren muss, um den Selbstrespekt zu wahren und um gesund zu bleiben.
Wechseln wir die Perspektive, dann wird eines deutlich: Nicht anders geht es LBGT-Menschen, die ebenfalls furchtbare Erlebnisse hatten, und den Kampf um öffentliche Wahrnehmung führen, um sich selbst in den Spiegel blicken zu können. Sie setzen sich für ihre Rechte ein, um ihrer mentalen und emotionalen Gesundheit willen.
Die Durchsetzung von Sprachverordnungen (Bill C-16) wird jedoch von Jordan Peterson in ein ideologisches und daher gefährliches Eck gerückt. So geschieht es auch ihm selbst, dass er von anderen als gefährlich eingestuft wird. In seinen Seminaren betont er, dass Ideologiefreiheit mit Integrität einhergeht. Der Rückgang der individuellen Integrität steht mit der Tendenz zu totalitären Systemen in engem Zusammenhang. Im Grunde möchte er auf einer Metaebene nicht über Personalpronomen, sondern über den Sachverhalt sprechen, über das Spiel, das gespielt wird, den Rahmen, in dem es stattfindet, sprechen, und nicht über die Farbe der Spielsteine, mit der sich diese oder jene Seite identifiziert (und fortan die jeweils anderen Farben als feindlich gesinnt einstuft)!
Selbst das englische Wort to understand – wörtlich »darunter stehen« – weist darauf hin, dass zum echten Verstehen eine tiefere Analyseebene aufgesucht werden muss, um die Bedeutung der wahrgenommenen Wirklichkeit zu erfassen. Jordan Peterson ist auf einer Metaebene unterwegs, doch das für jene nicht wahrnehmbar, die von einer Ideologie (egal welcher) voreingenommen sind. (Das bedeutet nicht, dass alle, die nicht seiner Meinung sind, einer Ideologie verfallen sind!)
In Dennis Villeneuve‘s Film Arrival wird diese Voreingenommenheit der Menschheit gezeigt: Ein Geschenk wird als Angriffserklärung interpretiert. Nun verrate ich dir ein kleines Geheimnis: Jedes Wort, das dir jemand entgegenschleudert, kann von dir als Geschenk aufgefasst werden; auch wenn es als Angriff gemeint war, liegt die Entscheidung allein bei dir, ob du es annimmst oder eben nicht annimmst. Die Entscheidung liegt allein bei dir. Das will das Gleichnis ausdrücken, das davon spricht, dass der Lotus im Schlamm wächst und sich Dung in duftende Blüten verwandeln lässt. Buddha lehnte dankend ab, als ihm jemand mit Schimpftiraden ins Haus kam. Marshall Rosenberg weist darauf hin, dass du Giraffenohren aufsetzen kannst, mit denen du nur unerfüllte Bedürfnisse hörst, die völlig verzweifelt versuchen, sich Gehör zu verschaffen. Die Zeichen sind überall. Lausche und lerne. Das ist das Prinzip des Tao.
Was kann ich tun?
Befreie dich von der Tyrannei deiner selbst auferlegten Sucht, andere zu überzeugen, dass du O.K. bist wie du bist. Finde Zugang zu deiner humorvollen Seite. Think out-of-the-box. Lerne Esperanto und sieh ein, dass Sprache ein Instrument bzw. ein Werkzeug ist, dessen Struktur von sich aus bereits bestimmte Möglichkeiten schafft und andere ausschließt. Paroli la lingvon de amo… ĝi estas facila!
Zelebriere deine Einzigartigkeit, ohne dich darum zu kümmern, was andere davon halten. Und sei dir im Klaren darüber, dass Menschen nur das verstehen können, was ihrer geistigen Denkrichtung entspricht; ihre Interpretation richtet sich nach der eigenen Einstellung und emotionalen Verfasstheit. Verstehe, wie Begriffsaneignung, HX-Verwirrung und politisches Framing funktionieren, und nutze deine Einsichten, um Begriffen positive Bedeutungen zu verleihen. Du hast die Definitionsmacht über dein Leben, niemand sonst. Es gibt niemand anderen zu überzeugen, und es gibt keinen Feind im Außen. Die Welt ist ein Spiegel deiner inneren Haltung. Schau hin.
2 Kommentare zu „Sprachpolitik und Transformation im 21. Jahrhundert“