Radikale Akzeptanz

Es erfordert ein hohes Maß an innerer Stabilität, um mit dem was passiert einfach nur zu sein. An die Stelle der Vielfalt des »mein« (mein Reichtum, mein Körper, meine Krankheit, mein Leben etc.) tritt die simple Kunst zu SEIN. Die Frage lautet, wie es möglich ist, in diesen Seinsmodus zu gelangen, mit anderen Worten: wie lässt sich Akzeptanz – vor allem radikales (lat. radix = Wurzel) Annehmen von uns selbst – entwickeln? Können wir andere überhaupt annehmen wie sie sind, bevor wir diese Akzeptanz uns selbst gönnen und für uns selbst echtes Mitgefühl empfinden? Wie können wir die Grundlage schaffen für Friedfertigkeit in Gedanken, Worten und Taten?

Der Moment des Glaubens

Søren Kierkegaard unterscheidet drei Ebenen der menschlichen Existenz: Die ästhetische, ethische und religiöse Sphäre. Was den Menschen von der ästhetischen, wir könnten auch sagen: materialistischen Weltanschauung zur ethischen bringt, ist die Ironie, genauer: Selbstironie. Das ethische Stadium wird durch Humor transzendiert und mündet in den religiösen Zustand, in welchem der Glaube die »Kreuzigung des Verstandes« fordert. Damit ist keineswegs gemeint, das Denken vollständig aufzugeben. Das wäre auch nicht möglich und für einen Denker wie Kierkegaard schon gar nicht. Der Verstand dient als Korrektiv des Glaubens und wird zur Selbstreflexion benötigt. Ohne ihn gelingt der Aufstieg durch die genannten Stadien nicht. Doch schließlich muss die Grenze des Verstandes anerkannt werden. Es muss radikal akzeptiert werden, dass Natur oder Seele oder Gott intellektuell unmöglich zu erfassen ist. Stattdessen ist es notwendig, Raum zu schaffen im Augenblick, den bewussten Sprung zu wagen und den Moment des Glaubens stets aufs Neue zu wiederholen. Nur so lässt sich laut Kierkegaard die menschliche Verzweiflung an der eigenen Existenz transzendieren.

Die Wahrheit des gegenwärtigen Augenblicks findet sich jenseits unserer persönlichen Vorlieben. Daher heißt es auch, dass der Große Weg nicht schwierig sei für diejenigen, die keine Präferenzen haben. Solange es ein Ich gibt, das den Gleichmut erfährt, solange gibt es noch etwas loszulassen. Solange gibt es noch Arbeit zu tun, und nicht Arbeit in dem Sinne, dass etwas zu erledigen wäre, sondern Arbeit im Sinne eines Sich-Entledigen von etwas, nämlich der Idee, die den Gleichmut im Jetzt absolut setzt und nicht erkennen lässt, dass es sich um einen bedingten, vergänglichen Zustand des Geistes handelt.

Selbstbetrachtungen

Der römische Kaiser Marc Aurel spricht in den »Selbstbetrachtungen« davon, dass die Dinge

„unbewegt verharren und nur wir es sind, die sich die Urteile über sie bilden und gleichsam in uns selber einschreiben, während wir doch die Möglichkeit haben, es nicht zu tun, und wenn sie sich irgendwie eingeschlichen haben, sie gleich auszuwischen“.

Marc Aurel zeigt deutlich, was es bedeutet, Meister des eigenen Lebens und seiner Seele zu sein. Wir können uns kaum vorstellen, welchen Versuchungen er als Kaiser des Römischen Reiches widerstand und welche Schicksalsschläge ihm widerfuhren. Ajahn Amaro sagte einmal:

„You can’t really understand sex, money and power… until you do without.“

Aus freien Stücken, versteht sich. Aus einem tiefen Verständnis der illusorischen Natur der Phänomene. Aus der Einsicht heraus, dass es sich bei weltlichen Erscheinungen per Definition um Versprechen handelt, die nie eingehalten werden. Denn die Realität hält nie, was die Phantasie und Einbildungskraft verspricht. Wenn es vorkommt, dass ein Ereignis uns überrascht, weil es noch um ein Vielfaches großartiger, wunderbarer, einzigartiger war, als wir dachten, dann meistens deshalb, weil wir dem Ereignis mit wenigen Erwartungen begegnet sind.

Ein Maß an Verzicht, Disziplin, Enthaltsamkeit ist solange notwendig, bis man auf den wirklichen Grund der eigenen Unzufriedenheit und Frustration trifft – und sich in gewisser Weise selber zum ersten Mal im Leben trifft. Und worin besteht dieser Grund? Warum gibt es Stress und Frustration? Durch das eigene Klammern an vergängliche Erscheinungen. Sobald die Phänomene als Erscheinungen, Seifenblasen gleich, als golden schimmernde Lügen entlarvt worden sind, gibt es keinen Grund mehr an ihnen zu hängen. Es gibt keine Motivation mehr, die vergänglichen Umstände des so persönlich genommenen Lebens für das eigene Glücklichsein verantwortlich zu machen oder umgekehrt: das eigene Glücklichsein von äußeren Umständen abhängig zu machen. Wenn das Licht des Bewusstseins auf die eigene Wahrnehmung gerichtet wird, fällt Gleichmut überhaupt nicht schwer. Mit einfachen Worten:

Gleichmut ist die natürliche Antwort auf eine klare Sicht der Dinge.


Eine Gelegenheit, Gleichmut zu entfalten und inneren Frieden zu bewahren, besteht in jedem Moment beim achtsamen Wahrnehmen von…

  • angenehmen oder unangenehmen körperlichen Empfindungen
  • Erwartungen an zukünftige Ereignisse oder Ergebnisse
  • sich wiederholenden Gedankengängen

Ein tiefes Verständnis – im doppelten Wortsinn – dafür zu entwickeln, dass Dinge sind wie sie sind, also die Fähigkeit, die Realität zu akzeptieren, bringt eine zunehmende Freiheit mit sich, nämlich die Freiheit von der Gewohnheit…

  • an bestimmten Dingen oder Personen zu hängen
    wenn diese mit lustbringenden Empfindungen assoziiert werden
  • gegenüber Dingen oder Personen ablehnend zu sein
    wenn sie in der Vergangenheit mit unangenehmen, schmerzhaften Empfindungen oder schwierigen Gefühlen verknüpft wurden
  • Dingen oder Personen gleichgültig gegenüber zu stehen
    wenn diese ein neutrales Gefühl verursachen bzw. in der Vergangenheit weder angenehme noch unangenehme Gefühlstöne verursachten

As you progress, you will discover a profound truth:
in life, as in meditation,
physical pain is unavoidable,
but suffering of every kind is entirely optional.

CULADASA: The Mind Illuminated

Die Freiheit von den drei Geistesgiften (Gier, Hass, Unwissenheit) kann ebenfalls – wie die vollendete Harmonie von Mitgefühl und Weisheit – als Ziel und Zweck der spirituellen Praxis angesehen werden. Es gibt in Bezug auf Methoden und Techniken allerdings Fallstricke zu beachten. Die Tendenz, an bestimmten Methoden anzuhaften und zu umklammern, um sie als »meine Technik« oder als »spezielle Methode« zu preisen.

Das Geheimnis ist, gleich nach zu allen Dingen zu stehen, die in unserem Leben passieren, stets präsent zu sein für all das, was im Leben auftaucht, besteht, vergeht. In der Meditationspraxis gibt es mehrere Möglichkeiten, das einzuüben.

  • Bei einer 45-minütigen bhavana (Übung) einmal 7 Minuten länger sitzen, bis es zur Gewohnheit wird. Dann wieder mal 7 Minuten hinzufügen, bis auch die 59′ gewohnt sind. Dann wieder 7 Minuten mehr usw. usf. Auf diese Weise lässt sich die Zeit beliebig erweitern, ohne den Eindruck zu bekommen, sich etwas Unzumutbares zuzumuten. Oft scheint es, als ob die echte Übung erst dann beginnt wenn die eingeplante bzw. gewohnte Zeitspanne vorüber ist.
  • Nach einer Einheit sitzen bleiben, z.B. nach dem Gong oder wenn alle aufstehen.
  • Während einer bhavana bewusst entscheiden, für eine bestimmte Dauer völlig reglos dazusitzen, z.B. die letzten fünf Minuten einer 30-minütigen Übung.
  • Bei auftauchendem Schmerz nicht sofort bewegen, sondern erst beobachten, wo genau es weh tut und welcher Art der Schmerz ist. Dann langsam den Körper in eine ander Position bringen und dabei die Achtsamkeit auf Atem oder Körperempfinden aufrechterhalten.

Wenn dein Geist fest ist wie ein Fels
und nicht länger schwankt
In einer Welt wo alles schwankt
Dann wird dein Geist dein bester Freund
Und kein Leid wird dir widerfahren

BUDDHA

Um Leid und die Ursache des Leids zu verstehen, müssen wir Samsara, die Wirklichkeit des bedingten Entstehens und Vergehens, annehmen. Es ist notwendig, die Illusion als solche zu erkennen, die Illusion, in dieser Welt »wo alles schwankt« irgendetwas feshalten zu können oder irgendetwas Dauerhaftes finden zu können.

Auch das Leid anderer Wesen, denen wir momentan nicht helfen können oder die sich nicht helfen lassen, gilt es anzunehmen. Unser eigenes Leid basiert auf den eigenen absichtsvollen Taten, denen stets eine geistige intentionale Handlung vorausgeht. Wird der wilde Geist gezähmt, dann wird er der beste Freund, und es wird einfach, hilfreiche Taten zu vollbringen. Das kann ein freundliches Wort, eine nette Geste, eine unterstützende Haltung sein. Um Gleichmut in Bezug auf das Leiden anderer Menschen zu entfalten, erscheint mir in diesem Zusammenhang sehr nützlich sich daran zu erinnern, dass alle Wesen die Erben ihrer Taten sind. Ihr Glück oder Unglück hängt von ihren beabsichtigten Handlungen ab, nicht von meinen Wünschen für sie.

In buddhistischen Kreisen sagen wir oft: »Mögen alle Wesen glücklich sein.« Nun wohl, der Wunsch mag noch so stark sein, der Brief ans Universum abgeschickt, das Gespräch mit Gott geführt, das positive Denken eingeübt, das Gesetz der Anziehung studiert… und dennoch wird der Wunsch nicht erfüllt; für den Wünschenden selbst macht es einen Unterschied. Die Absicht ist es, die zählt. Und was, wenn es doch eintrifft? Besteht dann nicht die Gefahr sich hinreißen zu lassen und mitbestimmen zu wollen, wie das besagte Glück für diesen Menschen aussehen soll? Freiheit heißt in diesem Kontext schlicht und einfach, andere Menschen so sein zu lassen wie sie eben sind. Jegliche Bewertung ist »extra«, hinzugefügt zur gegebenen Sinneserfahrung, ein künstliches Anhängsel.

An dieser Bewertung hängen zu bleiben und sich selbst im Gegensatz dazu zu positionieren ist verführerisch. Durch die Objektivierung der Welt tritt erst das Ich ins Dasein. Die reine Wirklichkeitsschau wird vernachlässigt, Identität gestiftet. Darin besteht schließlich das Ego; daraus besteht es auch. Das »kleine ich« will ununterbrochen versichert sein, wer und was es im Vergleich zu sinnlich Wahrgenommenem ist oder nicht ist. »Bin ich ok?« »Hat der mich gemeint?« »Wie stehe ich nun da?« Das ist es nicht, was Marc Aurel in seinen Tagebuch-ähnlichen »Selbstbetrachtungen« verarbeitet. Er vermittelt den Weg zu stoischer Ruhe und angemessener Distanz zu sich selbst und zu den eigenen unrealistischen Forderungen ans Dasein im Kosmos.

Was bewirken solche Fragen? Wohin führen sie? Zur ständigen Fortschreibung seiner selbst – darin besteht Substanz und Funktion von Ego. Ein unendliches Unterfangen, und doch auf einige Jahrzehnte begrenzt. Sowohl Größenwahn als auch Selbstmitleid sind Egospiele – im Endeffekt zwei Seiten der gleichen Medaille namens SamSara.


Literatur zum Thema

Tara Brach beschreibt in ihrem Bestseller Radical Acceptance (2003) anhand eigener Erfahrungen und Geschichten, die das Leben schrieb, wie die Vorstellung der eigenen Wertlosigkeit (trance of unworthiness) durchbrochen werden kann. Dieses Buch hat mir nach einer Trennung geholfen hat, den scheinbaren Verlust zu verkraften und mein Leben in einem größeren Zusammenhang zu sehen.

Innehalten – Atmen – Denken – Handeln

STOP.
BREATHE.
THINK.
ACT.

Als ich die Ausbildung zum SCUBA Rescue Diver auf Perhentian Island (Malaysia) absolvierte, wurde der Hinweis oftmals wiederholt: »Stop. Breathe. Think. Act.« Immer wieder hörte ich diese Anweisung. Wenn Angst dein Denken blockiert, dann ist auch der Körper wie gelähmt. Die Wahrnehmung ist eingeschränkt, du hältst die Luft und steigst in kurzer Zeit um einige Meter in Richtung Wasseroberfläche. Du vergisst die notwendigen Routinechecks und vielleicht sogar den Dekostopp. Der Tunnelblick verhindert, dass du deine Situation klar erkennst und die notwendigen Schritte setzt. Stattdessen kommt Panik auf. Und Panik setzt dein Denken völlig außer Kraft. Du reagierst blind auf scheinbar äußerliche Gefahren, die überhaupt nicht existieren und übersiehst die höchste Gefahr, nämlich jene, die durch dein eigenes Verhalten entsteht. Wenn wir uns unter Wasser befinden, kann dies lebensgefährlich sein. Und deshalb:

STOP the fear.
BREATHE deeply.
THINK clearly.
ACT decisively.


Angst verhindert Leben

An Land hingegen schleicht sich die Angst auf leisen Sohlen in unser Fühlen und Denken, kriecht uns unter die Haut und verhindert, dass wir frei atmen. Atmen ermöglicht Leben – Angst verhindert Leben. Durch das Umschalten in den Überlebensmodus (»survival mode«) verlieren wir die unseren Humor und unsere Lebenslust. Wir denken in Kategorien von Schwarz und Weiß, Gut und Böse, verzweifeln an der Unfähigkeit wirklich tief zu trauern und herzhaft zu lachen, weil wir den gepanzerten Schild nicht sprengen können, weil wir nicht wagen, die Mauern um uns herum nicht abzutragen. Der Blickwinkel über diese Mauern hinweg wird schwieriger mit jedem Tag, einerseits durch Gewohnheit und Identifikation mit dem eigenen Leiden, andererseits durch die Einbildung, dass eine alternative Sichtweise naiv sei. Doch »paranoid« und »naiv« sind extreme Anschauungsformen. Es kommt immer darauf an, ob die eigene Haltung zu einer »fight/flight/freeze«-Reaktion führt und ob jedes Angebot ohne nachzudenken angenommen wird, bloß weil es meine Situation kurzfristig zu bessern verspricht. In dieser Hinsicht bedarf es gründlicher Überlegungen, ob und wie die Corona-Affäre ihre Spuren in Form eines Systems von Überwachen und Strafen hinterlässt, das die Ausübung von unverhältnismäßig rigiden Maßnahmen und Verordnungen für normal erachtet und somit (natürlich »schrittweise« und stets »vorübergehend«) zur allgemein geltenden Norm erklärt wird.

Unterschiedliche Interpretationen der Geschichte, gelesen und übernommen von verschiedenen Seiten, führen zu unterschiedlichen Weltbildern und Überzeugungen. Da ist Steven Pinkers Enlightenment Now, ein Loblied auf den Weg, den die Zivilisation bisher genommen hat. Da ist andererseits Fabian Scheidlers Das Ende der Megamaschine, wo beschrieben wird, wie viel Zerstörung und Elend der bisherige Weg der Zivilisation verursacht hat. Welche Perspektive eingenommen und welche Geschichte erzählt wird, entscheidet über zukünftige Entscheidungen.

In der Flimmerkiste

In der heutigen Zeit ist eine Langzeitperspektive mit Augenmerk auf internationale Entwicklungen und Verflechtungen von Politik, Wirtschaft, Medizin, Industrie und Technologie wichtiger als je zuvor. Gerade das wird durch die allgegenwärtige „staatspolitisch verantwortliche“ Berichterstattung über Corona überlagert. Meines Erachtens haben Massenmedien nicht die Aufgabe, die Bevölkerung zu informieren. Vielmehr besteht ihr Auftrag darin, die Vergabe der Megaphone so zu organisieren, dass in den Köpfen der Menschen ein bestimmtes Bild der gesellschaftlichen Realität geschaffen wird. Daher erscheint es unabdingbar, die von großen Sendeeinrichtungen kolportierten (und teils korrumpierten) »Nachrichten« nicht ungefiltert und unhinterfragt hinzunehmen, sondern Zusammenhänge zu sehen, wo diese übergangen oder gar geleugnet werden. Ein aktuelles Beispiel: Die für heute, Freitag, 24. April 2020 geplante und anfangs bewilligte Demonstration der Initiative für evidenzbasierte Corona-Informationen (ICI) wurde nun doch abgesagt, weil die Polizei »schätzt, dass mehr als die angemeldeten Teilnehmer kommen«. Sollten sich trotz kurzfristiger (und verfassungswidriger) Absage Personen um 15 Uhr am Albertinaplatz sammeln, werden die Einsatzkräfte »verhältnismäßig einschreiten«. Amtsdeutsch im Zeichen struktureller Gewalt par excellence…

oisdaun buaschn & madln – auf’Passn!

Auf der Straße

Alles was ich sagen kann: Lass dich nicht von der Angst leiten. Lass nicht die Gewohnheit dein Tun beherrschen. Bleib nicht in der Reaktion auf scheinbare Umstände befangen. Wenn in der U-Bahn auf je vier Sitzplätze eine Person kommt, dann nimm nicht wie üblich das nächste »Abteil«. Sei kein Lemming. Mach den Anfang. Einer muss beginnen, sich zu anderen Menschen hin zu bewegen. Bewusst auf Nähe (Metall-Yin) achten und zugleich auf die Angst (Wasser-Yin) achten. Als ich gestern einen Menschen am Boden liegen sah und aus dem Auto stieg um ihm zu helfen, war es für mich unerträglich zu sehen, dass er vom Rest der anwesenden Menschen ignoriert wurde. Niemand sonst stand von seinem Platz auf und ging zu ihm, um ihm aufzuhelfen. Als er stand, merkte ich, dass er betrunken war. Er bedankte sich und sagte, er habe zwei gebrochene Rippen.

Im Outback

Ich erinnere mich an eine brenzlige Situation im australischen Outback. Wir schreiben das Jahr 2003. Mein Bruder und ich sind auf einem Roadtrip unterwegs durch Queensland. Vielleicht war es auch vorher, auf dem Weg von Coober Pedy nach Alice Springs, ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls ist es heiß, die Sonne brennt vom Himmel. Die Luft ist trocken und staubig. Ich entschließe mich spontan, einem trail zu folgen, der an einem kleinen Fluss entlang führt. Der Verlauf des Pfades ist durch Steine mit weißen Punkten markiert. Ich biege nach rechts ab, gehe eine halbe Minute und schaue mich nach dem nächsten weißen Punkt um. Kein weißer Punkt. Ich drehe mich in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Gehe ein Stück zurück. Doch finde auch hier keine Markierung. Kurze Panik. Sehr leise, nur ein Flüstern. Erstmal tief durchatmen. Ich drehe mich um meine eigene Achse und suche mit periphärem Blick die nähere Umgebung ab. Nichts. Kein Zeichen, das mich aus dem Dickicht wieder herausführt. Ich trage Sandalen, eine kurze Hose, und ich habe ein Handtuch. Kein Wasser. Im Rückblick ist es spannend zu sehen, dass mein Körper/Gehirn zuallererst nach Wasser fragte, vorausschauend. Obwohl ich im Augenblick (noch) keinen Durst hatte. Vor dem nächsten Schritt erwäge ich meine Optionen. »Ein Hügel«, fiel mir ein. »Vielleicht kann ich die Richtung erspähen, in der der Parkplatz liegt, wo mein Bruder beim Auto wartet«. Auch wenn ich nicht wirklich an diese Lösung glaube, ich muss etwas tun, das ich selbst aktiv beschließe! Also bewege ich mich langsam zum höchsten Punkt, den ich von meiner Position aus erkenne. Alles, was mir begegnet, erscheint mir in einem außergewöhnlichen Licht. Alles ist bedeutungsschwanger. Mein Bewusstsein aufgeladen mit adrenalininduzierter Wachsamkeit. Panik. Die Farben der Natur strahlen heller. Ein Baum wird zu einem Totempfahl. Ein ovaler Stein zu einer Art Stele. Ich erreiche den Hügel, doch er ist bei weitem nicht hoch genug über der Ebene. Alles was ich sehe sind Bäume, Gestrüpp, Sand und den weiten gleißenden Himmel über mir. Panik. Ich schließe die Augen. Überlege den nächsten Schritt, und da sehe ich plötzlich ein Rinnsal in etwa 50 Metern Entfernung. Ich gehe hin um daraus zu trinken. Entschließe mich als ich dort ankomme dann doch dazu, nur die Lippen zu benetzen und einen kleinen Schluck zu nehmen. Ich sitze kurz da, wasche mein Gesicht, und vergegenwärtige mir meine scheinbar aussichtslose Situation. Panik. Augen schließen. Durchatmen. Denk nach. Und da fällt mir die Methode ein, die ich während meiner Taucherausbildung gelernt habe: Um jemanden unter Wasser zu finden, wähle einen Punkt und gehe von dort aus in konzentrischen Kreisen nach außen.

So finde ich schließlich meinen Weg zu den markierten Steinen zurück

Ich gehe los, nun schon überzeugter als vorher, dass diese Strategie erfolgreich sein wird. Trotzdem taucht im Intervall von 2-3 Minuten regelmäßig Panik auf! Ich zwinge mich, zehn Schritte in eine Richtung zu gehen, 90° Wendung nach rechts, 10 Schritte, 90° nach rechts, 20 Schritte, 90° nach rechts. Panik. Egal. Just do it! Halt dich an den Plan. 20 Schritte. 90° nach rechts. 30 Schritte. 90°. 30 Schritte. … … und nach einer gefühlten Ewigkeit, auf der Uhr nach etwa einer Stunde, finde ich eine weiße Markierung am Boden. Und bin wiedergeboren. Ich sehe einen Mann auf einem Felsen sitzen und rufe ihm erleichtert zu: »Oh man, am I happy to see you!« Er erzählt mir in der Folge, dass ich nicht der Erste und vermutlich auch nicht der Letzte sei, der sich in dieser Gegend verirrt hätte. Mein Bruder ist heilfroh, als ich nach drei Stunden wieder beim Parkplatz ankomme. Ich auch… ich auch!


Lesetipp

Gerald Hüther beschreibt in seinem wirklich lesenswerten Buch Biologie der Angst, wie aus neurobiologischer Sicht die Phänomene Stress und Angst zustande kommen, wozu sie auftauchen, und wie wir mit ihnen auf sinnvolle Weise umgehen. Für all diejenigen, die einen Mundschutz anlegen, auch wenn sie allein mit dem Auto unterwegs sind: Pflichtlektüre.

Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen,
sondern die Vorstellungen, Urteile und Meinungen,
die wir von den Dingen haben.

EPIKTET (50-138)

Sprachpolitik und Transformation im 21. Jahrhundert

Aus gegebenem Anlass

In einer kürzlich gesehenen Doku wendet sich ein kanadischer Universitätsprofessor gegen Sprachregelungen und gegen die Einschränkung der freien Meinungsäußerung. Die Gesellschaft, in der er lebt und die er mit Hilfe seiner Erfahrungen und Einsichten aufklären will, ist zutiefst gespalten. Die Instrumentalisierung seiner Person im Sinne partikulärer Interessen, die Vereinnahmung durch ideologische Gruppierungen und nicht zuletzt der verzerrte Diskurs sowie die verkürzte Darstellung seiner Motivation und Grundhaltung in den Massenmedien haben dazu beigetragen, dass ihn heute mehr Menschen kennen als je zuvor.

Als sensibler Beobachter nimmt er eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Schwarz/Weiß-Denken ein. Er setzt sich für ideologiefreie Diskurse und offene Kommunikation ein. Sein scharfer Intellekt, seine Verve und Chuzpe erinnern mich an Noam Chomsky. Beide sind Professoren und beide plädieren für die Anhebung des Gesprächs auf ein Meta-Level. Beide vermitteln eine Botschaft, die nur auf dieser Ebene verstanden werden kann, während sie auf inhaltlicher Ebene von einer der beiden Seiten auf mechanische Weise in politisches Kleingeld umgemünzt wird. Deshalb wird er entweder geliebt oder gehasst. Identifikationsfigur und Projektionsfläche für die einen, Feindbild für die anderen. Je nach Interpretation ist er Rebell oder Reaktionär, Liberaler oder Traditionalist. Dabei ist alles was er will, dass Menschen ihrem Leben Sinn verleihen und dass dadurch der Hang zum Extremismus aus der Welt geschafft wird. Aber alles der Reihe nach. Ja: Der kanadische Professor heißt Jordan Bernt Peterson. Die erwähnte Dokumentation heißt The Rise of Jordan Peterson. Was mich inspiriert diesen Beitrag zu schreiben ist nicht nur seine persönliche Lebensgeschichte, sondern auch sein Mut. Es braucht Mut, sich so hingebungsvoll seiner auserwählten Mission zu widmen!

Es war teilweise irritierend, wie unbeugsam die öffentliche Meinung sein kann und wie unzugänglich die meisten Anhänger einer Ideologie für Gespräche über soziale Prozesse auf einer Metaebene sind; sei es, weil sie befürchten, dass ihre konkreten Anliegen übergangen werden und sich stattdessen eine Grundsatzdiskussion über »das Sagbare« oder über deren Weigerung, sich »dem Realen« zu stellen, entwickelt; sei es, dass sie zu sehr von einer bestimmten Ideologie vereinnahmt sind, um auf einer tieferen Ebene die Meinung des Anderen gelten zu lassen statt ihn als Gegner zu dämonisieren.

Der Dokumentationsfilm zeigt auf Grundlage der Erfahrungen von Jordan Peterson, wie wichtig es ist, die Anliegen der Nicht-Binären und Transgender Communities in Kanada und auf der ganzen Welt ernst zu nehmen: Sie wollen gesehen und gehört werden.

Mir erscheint es wichtig, näher auf die in der Dokumentation zu Tage tretenden Prozesse von Definitionsmacht, Aneignung politischer Begriffe und Framing einzugehen, da sie vom »Aufstieg des Jordan Peterson« bisweilen überlagert wurden. Deshalb möchte ich in diesem Artikel auf diese Themenbereiche näher eingehen.

Die Macht des Wortes

Ganz wesentliche Aspekte einer Persönlichkeit werden durch die Haltung zu Sprachregelungen offenbar. Es sagt einiges über dich als Menschen aus, inwieweit du dich an soziale Normen hältst. Hinter der Übernahme einer »politischen Haltung« und der Vorstellung, sich »korrekt« zu verhalten – im Sinne der eigenen Integrität und um des Zusammenlebens willen – steht das Verhältnis des einzelnen Menschen zur eigenen Sprachverwendung:

Was ist Sprache für mich?
Wie wende ich Sprache an?
Verwende ich Sprache, um Verbindung herzustellen oder um mich abzugrenzen?
Ist Sprache für mich ein Instrument, das gut gestimmt werden muss?
Dient Sprache für mich in erster Linie dazu, Informationen auszutauschen?
Ist Sprache für mich ein Mittel, andere zu beeinflussen, sie zu beherrschen, zu manipulieren und zu unterdrücken?
Ist mir bewusst, dass 70 % der aufgenommenen Information aus nonverbaler Kommunikation besteht?


Und wenn wir schon dabei sind:

Verstehe ich, was Wittgenstein mit »Sprachspielen« meinte?

All diese Fragen rühren an die Struktur deiner Motivation, noch bevor es darum geht, wie die eigene Haltung im politischen Spektrum einzuordnen ist. »Korrektes« (Sprach-)Verhalten ist im Grunde jenseits von »Rechts« und »Links« im politischen Spektrum. Die Gleichschaltung des individuellen Ausdrucks mit der Begründung, andere unter keinen Umstäden zu verletzen hat das Ziel, dass alle sich so benehmen, wie es der herrschenden Norm entspricht. Als Mitglieder einer Zivilgesellschaft muss es möglich sein, die Machtverhältnisse und manipulativen Aspekte von Sprache anzusprechen, ohne in ein politisches Lager gesteckt zu werden.

Jordan Peterson auf einer Kundgebung
zum Thema 'free speech' im Oktober 2016
(Foto: Wikipedia)
Jordan Peterson auf einer Kundgebung
zum Thema ‚free speech‘ im Oktober 2016
(Foto: Wikipedia)

Vergessen wir nicht, woher der Begriff der »Korrektheit« stammt und zu welchem Zweck er zum ersten Mal in politischen Kreisen verwendet wurde: Nationalsozialisten haben das Verhalten des reinen Ariers als »korrekt« definiert. Jeder, der sich anders als »korrekt« verhält – und dies lag damals wie heute im Ermessen der urteilenden Person – musste dafür bezahlen. Nach den Faschisten wurde der Begriff von den Emanzipationsbestrebungen der 68er (Studentenkreise, Progressive, Frauenrechte, »Das Private ist politisch« etc.) und dann von der Agenda der politischen Rechten vereinnahmt.

I was trying to solve this terrible puzzle about how it was that human beings got themselves in such a tangle about what they believed; such a tangle that we were pointing the ultimate weapons of destruction at one another.
And it seemed to me that the proper solution to that was to live properly, as an individual.
Because you are more powerful than you think.
Way more powerful than you think.

JORDAN PETERSON

Entweder – Oder

Die Frage, »auf welcher Seite stehst Du?« ergibt sich aus folgender Betrachtung: Der Begriff »politische Korrektheit« kann Unterschiedliches bedeuten, je nachdem von wem und in welchem Kontext er verwendet wird.

Auf der einen Seite wollen Minderheiten und unterstützende Solidaritätsgruppen, dass die Wahrung ihrer Interessen gesichert ist. Ihr Ziel ist es, dass moralische Codices innerhalb der Gesellschaft eingehalten und Kritik am momentanen Sprachgebrauch möglich ist. Sie rufen: »Diskriminierung!« Auf der anderen Seite wird »politische Korrektheit« als politischer Kampfbegriff der populistischen Rechten eingesetzt, um vor der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten zu warnen. Sie kritisieren die Bemühungen um Sprachänderungen, unterstellen den Verfechtern »Zensur« und rufen laut: »Ihr wollt uns unsere Sprache verbieten und unser Denken manipulieren!« Darauf wiederum die Kritiker der Kritiker: »Ihr wollt uns unsere Geschlechtszugehörigkeit diktieren und uns in ein binäres System hineinpressen!«

Beide Seiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich sehr stark mit der Gruppe identifizieren. Die Ursachen und Auswirkungen von Gruppenidentität und politischen Ideologien sind jene Themen, mit denen sich Jordan Peterson seit seiner Jugend in den 1970er Jahren intensiv beschäftigt. Und was er sieht: Wie in der Vergangenheit so oft geschehen werden die von der eigenen Haltung abweichenden Meinungen ins gegenüberliegende Extrem manövriert. Extremistisch sind immer die Anderen. Die Feinde. Die Gegner. Und wie so oft wird dem Anderen vorgeworfen, was man selbst tut.

Dabei wird übersehen, dass die Sprache als Instrument der Verständigung zunehmend versagt, wenn immer mehr Verbote und Regelungen verankert werden. Schlimmer noch: Sprache verwandelt sich zusehends in ein Propagandainstrument autoritärer Systeme. Genau das wollen die Minderheiten nicht. Sie wünschen sich eine Welt, in der sie wahrgenommen und respektiert werden. Doch indem per Gesetz vorgeschrieben wird, in das Sprachkorsett des Englischen Änderungen einzuführen, die sie berücksichtigen, wird ein weiterer Schritt in Richtung totalitärer Systeme gesetzt. Unter diesen Umständen wird der tägliche Sprachgebrauch durch die Euphemismus-Tretmühle (Slavoj Žižek) behindert. Die tatsächlichen Ursachen von Rassismus und Sexismus können laut Žižek nicht allein durch Sprachpolitik überwunden werden; mehr noch: sie sei ein Mittel um tiefgreifende Veränderungen zu erschweren. An Universitäten und Schulen wird es zunehmend schwieriger, über bestimmte Sachverhalte offen zu diskutieren, ohne dass sich diese oder dieses Individuum als Mitglied einer Gruppierung zurückgesetzt oder angegriffen oder verletzt oder missverstanden oder ignoriert oder übergangen oder nicht-respektiert »fühlt«.

Übernimm Verantwortung für deine persönliche Art und Weise, die Welt wahrzunehmen

Wer hat die Definitionsmacht?

Ein wesentlicher Aspekt des Diskurses ist die Frage nach der Definitionsmacht. Erinnern wir uns an »Black Power«, »I‘m a loser baby« – die Möglichkeit, sich ursprünglich negativ konnotierte Begriffe anzueignen, kreativ für die eigenen Zwecke zu nutzen und zunächst innerhalb der Minderheitengruppierung (Judn kinnan witzln iva KZs) bzw. Subkultur (»all my niggaz in da house yo!«) und schließlich auch bei der breiten Bevölkerung zu einer Bedeutungsverschiebung und positiv konnotierten Verwendung des Begriffs zu gelangen, waren und sind nach wie vor gegeben. Statt andere dazu bringen zu wollen, etwas nicht mehr zu sagen, weil es »absichtlich oder unabsichtlich« die Gefühle anderer Menschen verletzt, gleicht dem Versuch, die ganze Welt von Dornen, Stacheln und spitzen Steinen zu befreien – besser ist es, Schuhe zu tragen, und das bedeutet eben, die Definitionsmacht an sich zu nehmen.

„Sprachpolitik und Transformation im 21. Jahrhundert“ weiterlesen

Die Wahl: Angst oder Liebe

Ich will nicht behaupten, dass diese Gefahren nicht real waren oder sind. Aber es scheint mir bemerkenswert, dass der Kapitalismus stets das Bedürfnis verspürt, sich die Mittel für seine unmittelbar bevorstehende Zerstörung auszudenken oder sogar zu erzeugen.

David Graeber: Schuld. Die ersten 5000 Jahre. München: Goldmann, 2014, S. 457
Die letzten Minuten eines transformierenden Filmes: Zeitgeist

Für manche Menschen zeigen sich Risse im System. Nach dem radikalen Zusammenbruch einer über viele Jahre aufgebauten Existenz unterziehen sie ihr Leben einer kritischen Analyse. Für sie tauchen unweigerlich folgende Fragen auf: Was war bisher mein Lebensinhalt? Und wie mache ich von hier aus weiter? Fragen dieser Art sind Kennzeichen eines Bardo, eines Zwischenzustandes. Für manche ein Segen, für andere ein Fluch – zu Hause bleiben, kaum sozialer Kontakt, kein Ausgehen. Stattdessen Stillstand und Einkehr in den eigenen vier Wänden.

Gut möglich, dass sich während dieser schwierigen Zeit (die für andere wiederum gar nicht schwierig ist) viele Menschen mit Hilfe von Apparaten der Massensuggestion ablenken – und abschalten, indem sie einschalten. Allerdings stimmen mich zufällige Begegnungen wie die im folgenden beschriebene hinsichtlich der kritischen Rezeption von Massenmedien eher optimistisch: Als wir heute im Wald spazieren gingen, trafen wir eine Familie mit zwei Kindern. Ich hatte eine leere Bierdose vom Waldboden aufgehoben und mitgenommen und trug sie in der Hand. Ob dies die Dose sei, die dort hinten gelegen ist, fragte der Mann und wies dabei in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Ich bejahte und erfuhr, dass sie eben diese Dose auf dem Rückweg nach Hause mitnehmen wollten. Der Mann war überrascht und angetan, dass ich mit bloßen Händen… und gar keine Angst wegen Viren und so… und ich so, “was soll denn schon sein?”, und er so, “schön! es freut mich, dass andere auch so denken”, und ich so, “ich mich auch, sehr sogar, bis bald im Wald!”


Wenn die Masken fallen

Was sich jetzt zeigt, sind die wahren Verhältnisse der Gesellschaft. Ich erlebe Menschen, die sich an die neuen Verordnungen halten. Andere, die das nicht tun. War das nicht immer so? Ja. Doch noch nie war für mich so deutlich zu sehen, wie stark die Bevölkerung polarisiert ist. Und: wie kindisch sie reagiert. Noch nie war so deutlich, wie sehr Geschichtsvergessenheit, Autoritätshörigkeit und Berufsidentität imstande sind, persönliche Urteilskraft und kritisches Denken außer Kraft zu setzen. In den meisten Fällen ist das vollkommen natürlich, weil viel auf dem Spiel steht. (Tut es das nicht immer?) Es gibt stets die offiziell akzeptierte Meinung, und es gibt die eigene Meinung. Schließlich gibt es die Meinung, die als die eigene ausgegeben wird, weil sie am ehesten akzeptabel ist. Wir wissen nie, was wirklich in den Köpfen unserer Mitmenschen vor sich geht. Wir wissen nur, was sie vorgeben zu denken. Ob das ihre eigentliche Meinung ist oder nur die gesellschaftlich akzeptierte Haltung, wissen wir nicht. Im Gespräch mit anderen spielt die Macht von Gruppenzwang und der Druck, als zurechnungsfähig, vernünftig und ja, brav (!) gelten zu wollen, eine entscheidende Rolle. Was sage ich, und wem sage ich was?

Mehr noch als sonst fällt es schwer, die widersprüchlichen Geschichten im eigenen Oberstübchen einer kritischen Analyse zu unterziehen. Ist es gesund, den Massenmedien blinden Glauben zu schenken? Wird die Corona-Gefahr überschätzt während sie vor einem Monat noch unterschätzt wurde? Wird Europa sich am chinesischen Modell orientieren und umfassendere Überwachungs- und Kontrollmechanismen einsetzen?

Fragen wie diese beschäftigen mich.

  • Warum muss die gesamte Bevölkerung in Hausarrest? Wäre es nicht sinnvoller, gefährdete Gruppen wie Ältere oder immungeschwächte Personen zu schützen und eventuell auf faire Weise und mit voller Unterstützung staatlicher Einrichtungen zu isolieren, ohne das gesamte Wirtschaftssystem lahmzulegen?
  • Wie viele Menschen sind denn nun tatsächlich betroffen, genauer: wieviele Menschen sterben mit und wieviele sterben wegen des Coronavirus? – wir wissen es nicht! – aber das chinesische Modell von Überwachung, Sozialkredit und Ausschlussverfahren scheint das unsichtbare Böse erfolgreich eingedämmt zu haben.
  • Werden nun in Europa die bürgerlichen Freiheiten ebenfalls schrittweise aufgegeben, wie dies in einem 2010 erschienenen Dokument mit dem Titel Scenarios for the Future of Technology and International Development beschrieben worden ist?
  • Liegt hinter dem Vorwand, durch gesetzliche Verordnungen Sicherheit und Schutz (wenn schon nicht Gesundheit!) zu gewährleisten die Absicht, das demokratische System durch ein technokratisches System zu ersetzen, das sich durch soziale Distanz, künstliche Intelligenz und automatisierte Algorithmen kennzeichnet?
  • Werden bestimmte Verordnungen, Gesetze und Maßnahmen auch in Zukunft beibehalten mit der Begründung, so etwas wie „Corona“ dürfe niemals wieder geschehen? Eine kurze Einführung in die Strategie des totalitarian tiptoeing: Sämtliche Gesetze zur Beseitigung des Zinswuchers (DIDMCA 1980) wurden beibehalten, nachdem es gelungen war, die Inflation in den Griff zu bekommen; Intensivierung der Kontrollen auf Flughäfen und Erweiterung von Befugnissen der Sicherheitsdienste wird seit 9/11 als gegeben hingenommen; Installierung von Überwachungskameras und erhöhte Zahl von Einsatzkräften wird nicht wieder aufgehoben, nachdem Megaevents wie Olympia und Weltmeisterschaften vorbei sind.
  • Stimmen die Stimmen oder spinnen die Stimmen, die vor der digitalen, bargeldlosen, atomisierten Gesellschaft warnen, vor new world order und deep state?
  • Die Frage nach den Interessen scheint in solchen Fällen immer aufschlussreich zu sein: cui bono – wem nützt es? Wer zieht Nutzen aus der derzeitigen Lage? Wer profitiert von der Panik? Und wer profitiert in absehbarer Zukunft davon, dass das Weltwirtschaftssystem zerbröckelt? Wer hat Interesse daran, dass bestimmte Stimmen ungehört bleiben, dass Medienberichte vereinheitlicht und Andersdenkenden der Saft abgedreht wird? Wer profitiert, wenn der Staat während der Ausnahmesituation die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen muss?
  • Wenn die Weltgesundheitsorganisation wirklich an der Gesundheit aller Menschen interessiert ist, warum wird statt an einer Impfung gegen ein spezifisches Virus dann nicht an einem Präparat für die Unterstützung und Stärkung des Immunsystems gearbeitet? Und welche Rolle spielen dabei WHO, GAVI, Big Pharma (GlaxoSmithKline und Pfizer) sowie die Bill & Melinda Gates Foundation?
  • Was, wenn an unsere Solidarität und an unser Mitgefühl mit der älteren Bevölkerung appelliert wird, um psychopathischen Eliten zu ermöglichen, drakonische Maßnahmen zu setzen und jene Teile der Bevölkerung abzustrafen, die sich nicht an die Notstands-Spielregeln halten? Hierzulande patroullieren zwar noch keine Soldaten und geben Warnschüsse ab, damit die Leute zu Hause bleiben. Doch sozialen Druck auf „Ausreißer“, „Asoziale“ kann mensch auch hier spüren, sprich: Dämonisieren und Lächerlichmachen von Andersdenkenden gibt es wohl.

Der Großteil der Bevölkerung wird solche Gedankengänge nicht weiter verfolgen und schon gar nicht wagen, die eigenen Befürchtungen offen auszusprechen, um nicht als Spinner dazustehen. Doch wenn ich selbst sage was ich wirklich denke, gebe ich dem Anderen die Gelegenheit, das Gleiche zu tun. Die freie Meinungsäußerung ist gefährdet, wenn Menschen nicht mehr kritisch Stellung beziehen können, ohne als Spinner, Asoziale oder Verschwörungstheoretiker denunziert zu werden. Die öffentliche Meinung zu steuern, indem die vom Mainstream abweichenden Ansichten lächerlich gemacht werden und sozialer Druck erzeugt wird, um Systemkritiker und Freidenker unglaubwürdig erscheinen zu lassen, war schon immer Teil repressiver Systeme. Wie repressiv das System wirklich ist, merkst du erst, wenn du dich rührst. Die Fesseln spürst du nur, wenn du dich bewegst.

Während sich die Planetarische Arbeitsmaschinerie (PAM) und somit das persönliche Hamsterrad langsamer drehen, wird nicht nur die Luft klarer, sodass der Himalaya wieder vom Punjab aus sichtbar wird. Klarer wird auch, woran es bisher im Leben im Leben mangelte und was wirklich wirklich wichtig ist. Alles liegt daran, wie wir als Gesellschaft diese Zeit nutzen. Davon hängt die Zukunft dieser Gesellschaft ab. Bemühen wir uns, zu einem einfühlsameren, geduldigeren, verständnisvolleren Menschen zu werden oder überhören wir den Ruf nach Veränderung? Nehmen wir die Chance wahr, um einen tief greifenden Systemwandel zu verwirklichen?

Meiner Ansicht nach gelingt dies nur über persönliche Transformation. Das scheint nur auf den ersten Blick ein Umweg zu sein. In gewisser Weise ist es ein Umweg – und dabei der einzige Weg! Vertraue darauf, dass sich durch innere Transformation die Gesellschaft verändert, auch wenn dies noch so langsam geschieht.


Nutze die Zeit und erkenne dich selbst


Transformation is
when the worst thing that ever happened to you…

becomes the best thing that ever happened to you.

Joe Dispenza in ‚Reconnect‘

Arbeit und Wohlstand

Es mag sein, dass Menschen sich über Kurzarbeit freuen, weil sie bereits zu Beginn des Jahres vorhatten, ihr Pensum um einige Stunden zu reduzieren bzw. Teilzeit zu arbeiten. Die Übereinkunft, von zu Hause aus arbeiten zu können, sprich: Home Office, ist auch für einige aus meinem Freundeskreis eine willkommene Abwechslung. Trotzdem: Die momentanen Einschränkungen stellen für viele Menschen zweifellos eine enorme Belastung dar. Die eigenen Werte und die Bedeutung eines „guten Lebens“ müssen reflektiert werden. Es drängt sich die Frage auf, was Wohlstand, was Wohlbefinden und was Zufriedenheit bedeutet. Es bedarf einer grundsätzlichen Neuorientierung dessen, was Gemeinschaft heißt und in welcher Form von Gesellschaft wir leben möchten.

Familie und Beziehung

Wie wichtig die lebendige Gegenwart eines Menschen ist, wie wichtig persönliche Gespräche und gemeinschaftliche Zusammenkünfte sind! All das wird offenbar. Welch großartige Gelegenheit, all die Menschen wertschätzen zu lernen, die jetzt nicht bei uns sind. Zu sehen, was sie für uns tun. Eine Bestandsaufnahme der Beziehung zu Familie und Partner, zu unseren so genannten „Liebsten“… welcher Natur waren die Beziehungen? Das alles zeigt sich jetzt. Ging es um die Frage: „Was springt dabei für mich raus?“ War es nur ein Egotrip? Oder ein aneinander vorbei leben?

Erfolg und Reichtum

Was verstehen wir unter Erfolg? Wie reich ist der Einzelne: das interessiert uns, wenn wir jemanden als erfolgreich wähnen?! Diese materialistische Sichtweise erscheint trivial, armselig, banal, ja vulgär, sobald wir den zugeschriebenen Wert des angesammelten Reichtum hinterfragen. Statt einer plumpen Bestandsaufnahme der akkumulierten Geldeinheiten lässt sich fragen: Wie kam der Mensch zu so viel Geld? Wie verwendet diese Person ihren Reichtum? Nicht: wieviel hat sie gebunkert, sondern: wieviel hat sie gegeben und geteilt, wem hat sie geholfen, wieviele Menschen hat sie unterstützt, welche Projekte hat sie finanziert? Wen hat sie im Lauf ihres Lebens auf positive Weise beeinflusst? Das erinnert mich an die Big Men, die auf Melanesien und Polynesien beheimateten einflussreichen Häuptlinge von Stammesgesellschaften. Zuerst 1958 vom Anthropologen Marshall Sahlins beschrieben, erwirbt sich ein Big Man seine Reputation nicht aufgrund der Menge seiner Besitztümer, sondern durch seine vielschichtigen sozialen Bindungen und seine Fähigkeit zu teilen und zu schenken.

Wird weiterhin die schweigende Übereinkunft bestehen, dass Geld, Einfluss und Ruhm persönlichen „Erfolg“ konstituieren? Wird die Gier weiterhin nicht nur zulässig sondern sogar geil (ja, leider!) sein? Wird der Fortschrittsglaube, die Jagd nach unbegrenztem Profit und das Dogma des unendlichen Wirtschaftswachstums auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen in Zukunft noch als vollkommen akzeptabler Selbstzweck angesehen? Oder finden wir eine Rückkehr zum menschlichen Maß, wie es Ernst Friedrich Schumacher in Small is Beautiful (1973) beschrieben hat?

Werte statt Konsum

Man muss nicht nur über den Tellerrand blicken,
sondern auch darunter.”

James

Die Vorstellung, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei – homo homini lupus – zwingt uns heute ein Kosten-Nutzen-Denken auf, das auch vor der entsprechenden Analyse unserer Mitmenschen nicht halt macht. Die Idee wird auch von vielen dazu verwendet, ihren persönlichen Zynismus im Hinblick auf moralische Skrupel der Anderen zu rechtfertigen. Mit anderen Worten: Wir halten grundsätzlich nicht viel voneinander. Und wir sind vertraut mit der Vorstellung des homo sapiens als Virus, der den Planeten Erde infiziert. Wir sehen uns nicht als Teil der Natur, weder auf individueller noch auf kollektiver Ebene. Francis Bacon hat bereits im Jahre 1620 die zunehmende Entfremdung des Menschen von der Natur in seinem philosophischen Hauptwerk Novum Organum beschrieben. Die Natur wird vom Menschen erobert und beherrscht. Für wissenschaftlichen Fortschritt wird die Natur mittels industrieller Mittel auf die Streckbank gespannt, um ihre Geheimnisse auszupressen und sie durch Umgestaltung für den menschlichen Hunger nach Wohlstand und Wissen auszubeuten. Menschen werden dadurch ebenfalls bloßen Instrumenten reduziert, die von einer mächtigeren Klasse von Menschen regiert, erforscht und ausgebeutet werden. Diese Entwicklung der Nutzbarmachung und Umgestaltung der menschlichen Natur für die eigenen Zwecke mündet dieser Tage in Transhumanismus.1

Das mag eine stark vereinfachte Darstellung sein. Und natürlich gibt es niemals bloß Schwarz und Weiß. Soviel ist klar. Wenn der Umgang mit den Paradoxien meines Lebens mich eines gelehrt hat, dann die Tatsache, dass scheinbare Gegensätze stets einen gemeinsamen Ursprung haben. Die Welt ist viel zu komplex, als dass sie in Schubladen-Denken begriffen werden könnte. Systemische Zusammenhänge können nur mit Hilfe systemischen Denkens untersucht und verstanden werden. Das bedeutet, aus gewohnten Denkmustern auszusteigen. Es bedeutet, der Nutzung einer Sache mehr Bedeutung beizumessen als ihrem Besitz. Es bedeutet auch, im Gegenüber nicht den Wolf zu sehen, um den eigenen Egozentrismus zu rechtfertigen und zu zementieren. Und es bedeutet, auch wenn es für manch einen Schuldner noch so albern klingen mag, in der Welt etwas Anderes zu sehen als eine „Ansammlung potentieller Gefahren, potentieller Hilfsmittel und potentieller Handelsgüter“.2


Die Vergangenheit ist nicht mehr zu ändern. Die Zukunft ist ungewiss. Das Leben findet jetzt statt. Nutzen wir diese Zeit, um uns selbst zu erkennen, zu verstehen, was uns wirklich gut tut. Lasst uns diese Zeit nicht verschwenden. Lasst uns für uns wirklich DA sein. Versuche in deinem Alltag statt Angst, Apathie und Isolation viel mehr Mitgefühl, Verständnis, Solidarität zu kultivieren. Mach den ersten Schritt. Neue Werte ziehen herauf, verlass dich drauf! Halte einen Moment inne, um bewusst zu atmen, und jetzt stell dir die Welt in einem Jahr vor – und stell dir vor, was für ein Mensch aus dir geworden ist, wie du diese Zeit genutzt hast, und wie du wie ein Phönix aus der Asche …

Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen,
geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis,
das Gleiche zu tun.

Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind,
befreit unser Dasein automatisch die anderen.

Nelson Mandela

1 https://hesiodscorner.wordpress.com/2018/07/11/francis-bacons-conquest-of-nature/

2 David Graeber: Schulden. Die ersten 5000 Jahre. München: Goldmann, 2014, S. 406

Wellen, Winde, Welten

Was treibt dich an? Was motiviert dich? Was bewegt dich?

Was wirft dich um? Nagt an dir? Zerfrisst dich innerlich?

Stell dir – für den Moment – die Weite des Ozeans vor.
Schließ die Augen für einige Sekunden und beam dich fort.
Tu dir was Gutes. Nimm Kurzurlaub vom Bildschirm.


JETZT.


Nun stell dir vor: Ein Ozean, dessen Küsten „Geburt“ und „Tod“ genannt werden. Vielleicht kannst du hören wie es rauscht. In letzter Zeit ist es stiller geworden, das ist wahr. Unfreiwillige Stille ist bei Weitem nicht so willkommen wie Stille, die du selbst in dein Leben eingeladen hast. Das Meeresrauschen vermittelt Stille. Doch wir, die wir mitten im Leben stehen, wir sind auf hoher See. Wir rudern, treiben, steuern, kentern, es reißt uns hierhin und dorthin, wir lenken wieder ein, erleiden doch Schiffbruch und brechen auf in die nächste Expedition. Die Wellen um uns herum sind Manifestationen unsichtbarer Strömungen in der Tiefe, mithin Zeichen an der Oberfläche, die wir wahrnehmen und deuten können: die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Wie bei dieser bleibt auch beim Fokus auf eine einzige Welle die wesentliche Ursache und Grundlage verborgen. Wie kam die Welle zustande? Wo nahm sie ihren Anfang? Wann wird sie enden? Wen kümmert’s? Es kommt drauf an, mit ihr eins zu werden und sie zu reiten! Surfer wissen: Die einzige Konstante heißt Veränderung.

Menschen reisen mit dem Körper-Geist-Bewusstsein auf einem Ozean von Einflüssen, die sie hierhin und dorthin reißen. Wir wollen glücklich sein und uns lebendig fühlen. Wir wollen gesund sein. Sicher sein. Wir wollen Spaß und Erfolg haben, wir wollen uns spüren! Wir sehnen uns nach Anerkennung und Ruhm. Und wenn wir das nicht bekommen, wollen wir zumindest Schmerzen vermeiden. (Wenn uns Schmerzen nichts ausmachen oder gar Lust verschaffen, dann finden sich Menschen, denen es Lust verschafft uns Schmerzen zu bereiten.)

Während meiner Reisen habe ich bereits einen Beitrag über die Missverständnisse bezüglich körperlicher Schmerzen geschrieben, der auf meinen Erfahrungen in Einsichtsmeditation (Vipassana) beruht: Körperliche Schmerzen werden oft durch sorgenvolle Gedanken und erhöhte Muskelspannung intensiviert. Wie mit körperlichen Schmerzen ist es auch mit emotionalen Schmerzen. Der menschliche Geist ist imstande, durch Anerkennung des Ist-Zustandes eine Ebene zu erreichen, in der der Schmerz umkreist, d.h. umzingelt und analysiert, vorurteilsfrei wahrgenommen, und schließlich sogar umarmt werden kann. Schmerz mag da sein – doch du leidest nicht mehr daran.

Pain is necessary.
Suffering is optional.

Sinnesempfindung, Bewertung, Gefühl

Alle Erfahrung läuft grundsätzlich darauf hinaus, Wahrnehmungen zu bewirken, die in Raum und Zeit stattfinden. Diese Wahrnehmungen werden bewertet, und je nach Erbanlage und Konstitution, Sozialisierung und kulturellen Gepflogenheiten als angenehm, unangenehm oder neutral eingestuft. Dementsprechend erfahren wir bestimmte Sinneseindrücke als angenehm, unangenehm oder neutral, manchmal auch als eine Mischung dieser drei Gefühlstöne.

Im Laufe des Lebens verändern sich die Bewertungen verschiedener Erlebnisse. Vorlieben und Abneigungen ändern sich. Manches lässt einen kalt, was zuvor sehr anziehend oder verlockend erschien. Etwas, das Jahre zuvor mit Abscheu betrachtet worden ist, wird nun neutral betrachtet oder gar wertgeschätzt. Bestimmt hast auch du im Lauf deines Lebens manches liebgewonnen, was dir früher zuwider war; anderes lehnst du heute ab oder ist dir gleichgültig, woran du früher sehr gehangen bist.

Somit bleibt stets subjektives Urteil, was angenehm, unangenehm oder neutral „ist“. Es ist ein Gemeinplatz, dass jeder einzelne Mensch unterschiedlich wahrnimmt und bewertet, die Welt also mit unterschiedlichen Augen sieht, mit unterschiedlichen Sinnen fühlt und die Welt mit unterschiedlichen Wertesystemen einteilt und beurteilt. Nicht nur wird subjektiv erlebt und beurteilt. Es wird ein jeder Mensch auch das Gleiche nie wieder erleben, weil a) ein Ereignis, das einmal passiert, nie wieder auf die gleiche Weise wiederkehrt und b) es sich nicht um denselben Menschen handelt, auch wenn man ihn beim gleichen Namen nennt.

Weltliche Winde

Die acht weltlichen Winde können grundsätzlich mit dem Prinzip von Lust und Unlust subsumiert werden. Je deutlicher wir die Wege sehen, die Menschen wählen, um Glück zu erfahren, umso verständlicher wird das Leid, das sie erfahren. Oft liegt es daran, dass die eigene Welt auf den Raum des eigenen Ego zusammen geschrumpft ist. Das mag im Tal des Schmerzes geschehen, oder im Taumel von Ruhm. Es mag die Anerkennung sein, die einem zu Kopf gestiegen ist oder die ungerechtfertigte Ermahnung vom Chef. Es mag der Lottogewinn sein, der Menschen entzweit oder das Zocken in der Welt der Kryptowährungen, das einen um den Schlaf bringt. Der Wege sind viele, dem Glück hinterherzujagen. Je klarer und deutlicher das wird, umso verständlicher das Ergebnis.

VERGNÜGEN & SCHMERZ

GEWINN & VERLUST

LOB & TADEL

RUHM & SCHANDE

Einsicht und Verständnis in die Unwissenheit führt immer zu Anteilnahme, zu Fürsorge und Mitgefühl. Jemanden zu verurteilen, weil er solche Wege wählt, ist demnach unbewusstes Eingeständnis der eigenen Unwissenheit. Es ist unabdingbar, Handlung („Ich habe das getan“) und Charakter („Ich bin …“) eines Menschen zu unterscheiden und davon auszugehen, dass jedes Individuum (Un-Geteiltes) auch ein Dividuum (Geteiltes) ist. Mit anderen Worten: Die Wellen des Lebens, die uns hin und her werfen seit wir in die Welt geboren wurden, beeinflussen unsere Gedanken, Worte und Taten. Jeder Mensch ist so wie er ist und hat zugleich eine Vision, wie er gern wäre – dies äußert sich in Plänen, Projekten, Zielen.

Das Ziel der spirituellen Praxis ist das intuitive Erkennen dieser Tatsache. Ein Merkmal dieser Praxis ist, dass die Mittel sich im Sinn und Zweck ebendieser Praxis widerspiegeln. Umgekehrt ist das Ziel und der Zweck zugleich der Weg. Selbsterforschung, Selbsterkenntnis und das Erleben von Nicht-Selbst, gleichmütig und befreit von Konzepten und Vorstellungen, dies alles findet in sich selbst seinen Zweck. Durch das Kultivieren von Mitgefühl im Alltag wirst du einfühlsamer. Mit dem Üben von Geduld wird es leichter, geduldig zu sein usw. Meditation dient ebenso der Meditation selbst, d.h. dem profunden Eintauchen in den gegenwärtigen Moment, in das wirkliche LEBEN.

Wenn du nichts mehr spürst, und die Gesellschaft mit ihren Masken unerträglich geworden ist, dann bleibt als Ausweg nur die totale Aufgabe des bisherigen Selbstbildes.

Im Falle von Joker – dargestellt von Joaquin Phoenix in einem cineastischen Meisterwerk unter der Regie von Todd Phillips – wird eine solche Transformation in ein Selbst gezeigt, das das Gegenteil der Vor-Stellung (imagination/performance) ist, an das sich Arthur Fleck zuvor so verzweifelt gekrallt hast.

Gleichmut gegenüber den Unbillen des Lebens entfaltet sich auf harmonische und natürliche Weise, wenn du es mit der Praxis ernst meinst, also aufrichtig und beständig übst – am Besten für das Wohl aller fühlenden Wesen, denn sonst wird es uns schwer fallen durchzuhalten, wenn es unbequem wird.

Die Geburtsstunde der Praxis

The phenomenal world is by definition
a promise that is never kept.

Genau hier setzt die eigentliche Praxis ein: bei Schwierigkeiten, Problemen und Schmerzen, seien diese nun körperlicher, emotionaler oder geistiger Art. Toleranz spielt hier eine entscheidende Rolle, oder genauer: Resilienz. Wie tolerant bist du gegenüber Schmerzen körperlicher Art? Wie freundlich oder unfreundlich begegnest du dem groben oder ignoranten Verhalten eines Mitmenschen? Wie hoch ist dein Reaktions- und wie hoch dein Entschärf-Potential? Ständig nur angenehme Empfindungen erfahren zu wollen ist unrealistisch, ja regelrecht kindisch, naiv, unreif. Da wird gleich Alarmbereitschaft signalisiert und alles blitzschnell in die Wege geleitet, um ein etwaiges Problem zu lösen und aus der Welt zu schaffen, oft in der Geisteshaltung, dass so etwas in „meiner Welt“ nichts zu suchen hat. Wie unter Strom und gan aufgeladen rennen viele Menschen den Annehmlichkeiten hinterher und merken nicht, wie unannehmbar ihr Leben dadurch für sie selbst und andere wird. Der Trugschluss besteht meist darin, dass sie es einfach noch nicht vehement oder entschlossen genug versucht hätten. Sie sehen nicht ein, dass dieser Weg des Sich-Abstrampelns nichts bringt außer Stress und Dis-Ease, d.h. einer immer größer werdenden Entfernung zu echtem Genuss und wahrer Leichtigkeit.

Großartiges Video und Gute Musik, wie ich es von Clueso kenne 🙂
In seinen Liedern erkenne ich mich selbst wieder.
Er spricht mir aus dem Herzen und weiß um die Bedeutung von Stille.

Wenn dann die Bedingungen und Umstände mal eintreffen, dass sich angenehme Empfindungen, Gefühle, Gedanken einstellen, dann wollen Menschen sie festhalten und gestehen ihnen nicht zu wieder zu vergehen, wie es nun einmal der Natur von bedingt entstandenen Phänomenen entspricht.

Wie oft muss der Mensch erleben, bis er begreift: Kein Gefühl besteht für immer. Keine Empfindung ist endgültig. Kein Gaumenkitzel und kein Orgasmus ist ewig. Das Nicht-Wahrhaben-Wollen dieser Tatsache und die Sucht nach immer neuen Sinneserfahrungen brachte Buddha dazu, folgendes auszusprechen, um damit auf die Entstehung von dukkha einzugehen:

Alles brennt. Das Auge brennt und alles Sichtbare brennt. Die Ohren brennen und die vernommenen Klänge, die Nase, die Zunge, der Körper und das Denken. Welches Feuer verzehrt sie? Es sind die Flammen der Gier, des Hasses, der Unwissenheit, es züngeln die Angst, die Eifersucht, der Verlust, der Verfall und der Kummer. Wer auf dem Weg der Mitte dieses Leid betrachtet, wird solcher Flammen überdrüssig; er wird der Gier und des Hasses müde, die ihn nach Anblicken, Klängen, Gerüchen, Geschmäckern jagen lassen, ob konkret oder in der Vorstellung. Sein Überdruss lässt ihn Abstand nehmen von dieser Jagd und dieses Loslassen macht ihn frei.

Ādittapariyāya Sutta

Wenn sich der Zustand des Geistes in Gleichmut auch wie Befreiung anfühlt und auch einige Merkmale der Befreiung mit sich bringt, so ist es doch ein bedingter Geisteszustand. Zugegeben, ein außergewöhnlicher, wundervoller Zustand. Doch vergänglich. Es muss also noch immer etwas tiefer erkannt werden. Wie in einer Spirale werden vorherige Erkenntnisse aufgehoben. Das ist durchaus im dreifachen Sinne Hegels zu verstehen: Erkenntnisse werden durch neue Erkenntnisse überlagert, relativiert und in gewisser Weise eliminiert; zugleich werden sie auf eine neue Ebene gehoben; und im Herzen als Erinnerung an einen Schatz tief empfundenen Friedens aufbewahrt.


Probleme tauchen auf – na klar! Bleib wachsam, Tiger. Beobachte die eigene Reaktivität. Erlebe und fühle die Reaktion mit deinem ganzen Sein. Zugleich aber: Lass dich nicht leiten von Impulsen, die dieser Reaktivität entspringen. Verhalte dich achtsam, wo du auch bist, was du auch tust. Sei wach wenn alles paletti ist. Sei wach, wenn’s ans Eingemachte geht. Bleib geduldig. Bleib geschmeidig. Bleib freundlich, besonders in Momenten, in denen dir nicht danach ist. Sei authentisch. Sei ehrlich. Leg alle Masken ab, die du dir im Lauf deines Lebens mühsam zugelegt hast oder unbemerkt hast aufschwatzen lassen. Stell Fragen statt Behauptungen aufzustellen.

Und vor allem: Sei nett zu dir selbst und atme tieeeeeeeeef, am besten in den Bauch!


Gleichmut (upekkhā)

Derzeit, wir schreiben April 2020, herrscht große Ungewissheit. Wir haben keine Ahnung, wie lange die Virus-Thematik und die damit verbundenen Einschränkungen und Maßnahmen noch dauern. Viele sind überrascht, dass es zu einer Pandemie gekommen ist. Manche sind überrascht, dass so viele Menschen überrascht sind, da eine solche im Grunde vorhersehbar war und in bestimmten Kanälen auch vorausgesagt wurde.

Angesichts des unermesslichen Leids auf dem Planeten Erde und angesichts der Schwierigkeiten, die entstehen können, sobald wir uns dafür öffnen, braucht es Gleichmut. Eine friedvolle und offene Einstellung gegenüber dem Leben, die dazu beiträgt, sich selbst und den Mitmenschen verständnisvoll zu begegnen und den guten Humor zu bewahren.

Um fähig zu sein, sich selbst und anderen mit Verständnis zu begegnen, braucht es einen klaren Geist, ein ausgeglichenes Gemüt. Damit beschreibe ich einen Zustand, der einer fixierten Sichtweise auf sich selbst und die Welt gegenüber steht. Es braucht, wie Robert Anton Wilson sagt, die Einsicht in die Möglichkeit, falsch zu liegen: maybe logic. Shunyru Suzuki nennt dies big mind. Es ist die Fähigkeit, sich selbst und die eigenen Ideen, Meinungen, Konzepte eben als solche anzusehen statt sie als gegebene Wahrheiten zu verbreiten. Es braucht intellektuelle Bescheidenheit, um tatsächlich Klarheit zu schaffen.

‚Delusion isn’t the same as fogginess. Fogginess on its own is just confusion, disarray, forgetfulness. Delusion is fog plus the illusion of clarity. Delusion isn’t confusion about what’s true – it’s full belief in what’s not true.‘

Tim Urban

Ein kurzes Gespräch mit Gott

Letzten Endes entspringt die Idee der Theodizee der Überzeugung, dass an den Kriegen und Katastrophen irgendwer schuld sein muss. Das Konzept der Schuld, das, von sich selbst auf andere übertragen, oft mit der Unfähigkeit zu vergeben und zu trauern einhergeht, führt zu der Haltung und der vorwurfsvollen Frage: „Wie kann Gott das alles zulassen?“

Da fällt mir eine Geschichte ein. Eine Frau, die zeit ihres Lebens für andere gesorgt und gebetet hatte, starb eines Tages, wie es eben für Sterbliche üblich ist. Da sie ein Leben lang ans Himmelreich geglaubt hatte, kam sie auch in ein solches, um auf ihrer persönlichen Wolke im Paradies Platz zu nehmen. Die gottesfürchtige Frau verbeugte sich tief und bat darum, eine Frage stellen zu dürfen. Es war eine Frage, die sie während ihres menschlichen Daseins auf der Erde oft beschäftigt hatte. Gott-im-Himmel gewährte ihr diese Bitte und lächelte. Er kannte die Frage bereits, da die Seele der Frau vor ihm aufbereitet war wie ein offenes Buch. „Weißt du, Gott“, begann die Frau, „weißt Du, was auf der Erde los ist? Siehst Du, wie Kinder verhungern, Städte zerbombt, Völker vernichtet werden? Wie kannst du zusehen, wie Millionen Tiere geschlachtet, Millionen von Menschen hingerichtet, und unzählige fühlende Wesen leiden?“ Die Frau erzählte Gott-im-Himmel, dass die Menschen ihren Glauben verlieren würden, wenn ER nicht bald etwas dagegen unternehme. Sie fragte, warum Er denn all die Jahrzehnte des Krieges und der Armut geschehen ließe, wo Er doch allerbarmend, allwissend, allmächtig sei. „Warum hast Du nichts getan?“ fragte die Frau verzweifelt, mit tränenerfüllten Augen und erstickter Stimme. Und Gott sprach: „Aber ich tat doch etwas, mein Kind: Ich erschuf Dich.“


Lauschen, Horchen, Spüren

Gleichmut hilft uns, uns selbst und die Dinge klarer zu erkennen und in die Tiefe unseres Selbst einzutauchen. Es ist eine Form der unbedingten Liebe, wie sie Großeltern ihren Enkelkindern gegenüber empfinden. Gleichmut trägt dazu bei, Herzensqualitäten zu entfalten und ein einfaches, ruhiges und zufriedenes Leben zu führen. In verschiedenen Listen der Buddhisten wird Gleichmut als Schlusslicht angeführt, da es sich um eine außerordentlich wichtige Geistesqualität handelt. Denn Gleichmut hilft dabei, die zu entwickelnden Eigenschaften auf dem Edlen Achtfachen Pfad sowie die emotionalen Zustände bei Bedarf auszugleichen, sodass Extreme vermieden werden. Zu den Listen, in denen Gleichmut als umfassender Ausgleich und kulminierender Schlusspunkt angeführt wird, gehören:

  • 4 Brahma Viharas („Göttliche Verweilzustände“):
    Liebe (metta), Mitgefühl (karuṇā), Mitfreude (muditā), Gleichmut (upekkha)
  • 7 Bojjhangas („Faktoren des Erwachens):
    Achtsamkeit (sati), Untersuchung des Dhamma (dhamma vicaya), Freude (pīti), Gelassenheit (passadhi), Konzentration (samādhi), Gleichmut (upekkha)
  • 10 Paramitas („Qualitäten“):
    Großzügigkeit (dāna), Tugendhaftigkeit (sīla), Entsagung (nekkhamma), Weisheit (paññā), Energie (viriya), Geduld (khanti), Wahrhaftigkeit (sacca), Entschlossenheit (adhiṭṭhāna), Freundlichkeit (metta), Gleichmut (upekkha)

Eine stabilisierende und ausgleichende Qualität des Geistes also. Gleichmut zählt allerdings immer noch zu den „bedingten Geisteszuständen“ und ist damit dem Kommen und Gehen unterworfen. Es fällt auf, dass es einfacher ist, in gleichmütiger Verfassung starke Konzentration zu entwickeln. Mit Hilfe der Konzentration stabilisiert sich wiederum der Geist und wird offener, weiter, raumhafter, um angesichts der Hochs und Tiefs des Alltags in Gleichmut zu verweilen.


Der nahe und ferne Feind

Wie bei den anderen Unermesslichen gibt es auch hier einen „nahen Feind“, mit dem die echte Qualität Gleichmut leicht verwechselt werden kann. Der Unterschied zwischen upekkha und Gleichgültigkeit könnte aber größer nicht sein! Während sich ein Mensch, dem etwas gleichgültig ist, abschließt und sein Herz zusammenzieht, weitet sich das Herz des Menschen, der sich in Gleichmut übt.

Upekkha heißt nicht umsonst Gleich-Mut. Es bedeutet Mut zu haben, sich allen Seiten zu stellen, d.h. sowohl der unangenehmen, der angenehmen wie auch der neutralen. Gleichmut ist nicht eine Form von Kälte, Abgehobenheit, Zögerlichkeit oder Rückzug. Ganz im Gegenteil. Gleichmut hat keinerlei Abneigung in sich, weil es sich um eine Form der (großelterlichen, nicht romantischen) Liebe handelt.

Durch diese Gemütsverfassung entwickeln sich Ruhe, Gelassenheit, Frieden, ein so tiefer Frieden, Entspannung, Präsenz, Ausstrahlung, Stabilität, Festigkeit, Unerschütterlichkeit, offenes Gewahrsein und die Fähigkeit, in turbulenten Zeiten (!) gegenwärtig zu bleiben. Andere Synonyme für Gleichmut sind Unparteilichkeit, Nichtreaktivität, Ausgeglichenheit, Balance. Natürlich gibt es in unserer Zeit unzählige Arten, das Konzept Gleichmut begrenzt aufzufassen, es für eigene kurzsichtige Zwecke zu instrumentalisieren oder dem Trick 17 des Egos auf den Leim zu gehen.

Gleichmut lässt sich am ehesten dann erfahren, wenn wir uns völlig dem gegenwärtigen Augenblick hin-geben. Es hat durchaus mit der Fähigkeit vorbehaltlos zu geben zu tun, anders gesagt: mit der Fähigkeit, der Wirklichkeit zuzugestehen, dass sie ist wie sie ist und den eigenen Lebensfluss und inneren Frieden zu bewahren, wenn die äußeren Umständen nicht unseren Erwartungen entsprechen.

Seit zwei Jahrzehnten ist Gil Fronsdal einer meiner Mentoren. Er ist wirklich ein ganz außergewöhnlicher Lehrer. Ich habe ihn bisher noch nicht persönlich getroffen. Dennoch fühlt es sich durch die unzähligen Stunden, die ich seiner Stimme gelauscht habe so an, als ob ich ihn gut kennen würde. In diesem Dhamma-Vortrag erläutert Gil anhand zahlreicher Gleichnisse die Fertigkeit namens GLEICHMUT und zeigt auf, wie mit der entsprechenden Geisteshaltung jedes Ereignis im Leben dazu beitragen kann, eine klare Sicht auf die Dinge und sich selbst zu entwickeln. Er verdeutlicht, dass wir Begebenheiten und Zuständen mit Gelassenheit begegnen können, weil wir imstande sind zu wählen worin unser größtes Vertrauen liegt.

Wege zu Gleichmut

Wie kommen ich in diesen wünschenswerten Geisteszustand und verhindere, in die Falle des „nahen Feindes“ zu gehen? Eine gute Frage. Und wie so oft lautet die Antwort: Übung macht den Meister. Welche Übung? Die beständige, ausdauernde Übung in Achtsamkeit. Während dieser Übung selbst wird Gleichmut bereits eingeübt, denn der Geist schwirrt im normalen Wachbewusstsein von hier nach dort und schwingt sich von einem Gedanken zum nächsten like a monkey seeking fruit in the forest.

Die Auswirkungen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung auf dieser Welt mögen Niedergeschlagenheit und Hilflosigkeit hervorrufen, manchmal auch vermischt mit einem leisen Gefühl der Hoffnung, nicht direkt davon betroffen zu werden. Dabei bin ich bereits davon betroffen, wenn ich davon höre, lese, oder darüber mit jemandem spreche. Die Hoffnung, nicht betroffen zu sein, erscheint mir deshalb als trügerisch, denn in einer globalisierten Welt, auf einem Planeten mit beschränkten Ressourcen, umfassenden Kommunikationsnetzen und monopolisierten Medienlandschaften scheint der einzelne Mensch ganz automatisch abhängig zu sein von der Gemeinschaft und der Kultur, in der er lebt. Kein Mensch ist eine Insel, auch wenn manche meinen, sie seien sicher auf der „Insel der Seligen“. Kein Mensch ist eine Insel. Und doch: „Sei dir selbst eine Insel der Zuflucht“, sagte Buddha, bevor er verschied. Was meinte er damit? Was bedeutet atta-dīpā-saranam?

It is necessary to withdraw, to be „an island unto oneself,“ at least for a time (as any meditator knows), not for any „selfish“ reasons but precisely in order to make this profound introspective investigation. In another sense, Buddhists would of course agree with John Donne that „No man is an island.“

(Kommentar zum Attadīpā Sutta: An Island to Oneself)

Es ist nicht notwendig, sich über gesellschaftliche, kulturelle oder wirtschaftliche Verwicklungen und Probleme den Kopf zu zerbrechen. Es reicht schon, wenn ich lerne, auf verantwortungsvolle und emotional reife Art und Weise auf körperliche Gebrechen oder Krankheitsfälle zu antworten: Wie gehe ich damit um, wenn Schnupfen, Halsweh oder Kopfweh mich plagen? Wenn mich das Fieber schüttelt und ans Bett fesselt? Reagiere ich mit Groll und Ungeduld, mit Angst und Widerwillen, wenn ich mal einen Tag lang nichts esse?

Wie die Liebe lässt sich Gleichmut nicht erzwingen. Abkürzungen, die das Ego immer wieder anbietet, führen zu Verlusten an Authentizität und Integrität. Psychosomatische Erkrankungen weisen auf innere Verknotungen und mentale Verrenkungen hin, mithin auf den Versuch, bestimmten Erwartungen an sich selbst gerecht werden zu wollen. Zugegeben, die emotionale Panzerung aufzubrechen tut anfangs weh. Doch es lohnt sich jedes Mal.

Denk daran: Es gibt in jedem Augenblick die Chance, aus gewohnten Mustern auszusteigen. In jedem Moment bietet sich die Möglichkeit, sich selbst das Geschenk der Präsenz zu machen. That’s why it’s called the present.