Es erfordert ein hohes Maß an innerer Stabilität, um mit dem was passiert einfach nur zu sein. An die Stelle der Vielfalt des »mein« (mein Reichtum, mein Körper, meine Krankheit, mein Leben etc.) tritt die simple Kunst zu SEIN. Die Frage lautet, wie es möglich ist, in diesen Seinsmodus zu gelangen, mit anderen Worten: wie lässt sich Akzeptanz – vor allem radikales (lat. radix = Wurzel) Annehmen von uns selbst – entwickeln? Können wir andere überhaupt annehmen wie sie sind, bevor wir diese Akzeptanz uns selbst gönnen und für uns selbst echtes Mitgefühl empfinden? Wie können wir die Grundlage schaffen für Friedfertigkeit in Gedanken, Worten und Taten?
Der Moment des Glaubens
Søren Kierkegaard unterscheidet drei Ebenen der menschlichen Existenz: Die ästhetische, ethische und religiöse Sphäre. Was den Menschen von der ästhetischen, wir könnten auch sagen: materialistischen Weltanschauung zur ethischen bringt, ist die Ironie, genauer: Selbstironie. Das ethische Stadium wird durch Humor transzendiert und mündet in den religiösen Zustand, in welchem der Glaube die »Kreuzigung des Verstandes« fordert. Damit ist keineswegs gemeint, das Denken vollständig aufzugeben. Das wäre auch nicht möglich und für einen Denker wie Kierkegaard schon gar nicht. Der Verstand dient als Korrektiv des Glaubens und wird zur Selbstreflexion benötigt. Ohne ihn gelingt der Aufstieg durch die genannten Stadien nicht. Doch schließlich muss die Grenze des Verstandes anerkannt werden. Es muss radikal akzeptiert werden, dass Natur oder Seele oder Gott intellektuell unmöglich zu erfassen ist. Stattdessen ist es notwendig, Raum zu schaffen im Augenblick, den bewussten Sprung zu wagen und den Moment des Glaubens stets aufs Neue zu wiederholen. Nur so lässt sich laut Kierkegaard die menschliche Verzweiflung an der eigenen Existenz transzendieren.
Die Wahrheit des gegenwärtigen Augenblicks findet sich jenseits unserer persönlichen Vorlieben. Daher heißt es auch, dass der Große Weg nicht schwierig sei für diejenigen, die keine Präferenzen haben. Solange es ein Ich gibt, das den Gleichmut erfährt, solange gibt es noch etwas loszulassen. Solange gibt es noch Arbeit zu tun, und nicht Arbeit in dem Sinne, dass etwas zu erledigen wäre, sondern Arbeit im Sinne eines Sich-Entledigen von etwas, nämlich der Idee, die den Gleichmut im Jetzt absolut setzt und nicht erkennen lässt, dass es sich um einen bedingten, vergänglichen Zustand des Geistes handelt.
Selbstbetrachtungen
Der römische Kaiser Marc Aurel spricht in den »Selbstbetrachtungen« davon, dass die Dinge
„unbewegt verharren und nur wir es sind, die sich die Urteile über sie bilden und gleichsam in uns selber einschreiben, während wir doch die Möglichkeit haben, es nicht zu tun, und wenn sie sich irgendwie eingeschlichen haben, sie gleich auszuwischen“.
Marc Aurel zeigt deutlich, was es bedeutet, Meister des eigenen Lebens und seiner Seele zu sein. Wir können uns kaum vorstellen, welchen Versuchungen er als Kaiser des Römischen Reiches widerstand und welche Schicksalsschläge ihm widerfuhren. Ajahn Amaro sagte einmal:
„You can’t really understand sex, money and power… until you do without.“
Aus freien Stücken, versteht sich. Aus einem tiefen Verständnis der illusorischen Natur der Phänomene. Aus der Einsicht heraus, dass es sich bei weltlichen Erscheinungen per Definition um Versprechen handelt, die nie eingehalten werden. Denn die Realität hält nie, was die Phantasie und Einbildungskraft verspricht. Wenn es vorkommt, dass ein Ereignis uns überrascht, weil es noch um ein Vielfaches großartiger, wunderbarer, einzigartiger war, als wir dachten, dann meistens deshalb, weil wir dem Ereignis mit wenigen Erwartungen begegnet sind.
Ein Maß an Verzicht, Disziplin, Enthaltsamkeit ist solange notwendig, bis man auf den wirklichen Grund der eigenen Unzufriedenheit und Frustration trifft – und sich in gewisser Weise selber zum ersten Mal im Leben trifft. Und worin besteht dieser Grund? Warum gibt es Stress und Frustration? Durch das eigene Klammern an vergängliche Erscheinungen. Sobald die Phänomene als Erscheinungen, Seifenblasen gleich, als golden schimmernde Lügen entlarvt worden sind, gibt es keinen Grund mehr an ihnen zu hängen. Es gibt keine Motivation mehr, die vergänglichen Umstände des so persönlich genommenen Lebens für das eigene Glücklichsein verantwortlich zu machen oder umgekehrt: das eigene Glücklichsein von äußeren Umständen abhängig zu machen. Wenn das Licht des Bewusstseins auf die eigene Wahrnehmung gerichtet wird, fällt Gleichmut überhaupt nicht schwer. Mit einfachen Worten:
Gleichmut ist die natürliche Antwort auf eine klare Sicht der Dinge.

Eine Gelegenheit, Gleichmut zu entfalten und inneren Frieden zu bewahren, besteht in jedem Moment beim achtsamen Wahrnehmen von…
- … angenehmen oder unangenehmen körperlichen Empfindungen
- … Erwartungen an zukünftige Ereignisse oder Ergebnisse
- … sich wiederholenden Gedankengängen
Ein tiefes Verständnis – im doppelten Wortsinn – dafür zu entwickeln, dass Dinge sind wie sie sind, also die Fähigkeit, die Realität zu akzeptieren, bringt eine zunehmende Freiheit mit sich, nämlich die Freiheit von der Gewohnheit…
- an bestimmten Dingen oder Personen zu hängen
… wenn diese mit lustbringenden Empfindungen assoziiert werden - gegenüber Dingen oder Personen ablehnend zu sein
… wenn sie in der Vergangenheit mit unangenehmen, schmerzhaften Empfindungen oder schwierigen Gefühlen verknüpft wurden - Dingen oder Personen gleichgültig gegenüber zu stehen
… wenn diese ein neutrales Gefühl verursachen bzw. in der Vergangenheit weder angenehme noch unangenehme Gefühlstöne verursachten
As you progress, you will discover a profound truth:
CULADASA: The Mind Illuminated
in life, as in meditation,
physical pain is unavoidable,
but suffering of every kind is entirely optional.
Die Freiheit von den drei Geistesgiften (Gier, Hass, Unwissenheit) kann ebenfalls – wie die vollendete Harmonie von Mitgefühl und Weisheit – als Ziel und Zweck der spirituellen Praxis angesehen werden. Es gibt in Bezug auf Methoden und Techniken allerdings Fallstricke zu beachten. Die Tendenz, an bestimmten Methoden anzuhaften und zu umklammern, um sie als »meine Technik« oder als »spezielle Methode« zu preisen.
Das Geheimnis ist, gleich nach zu allen Dingen zu stehen, die in unserem Leben passieren, stets präsent zu sein für all das, was im Leben auftaucht, besteht, vergeht. In der Meditationspraxis gibt es mehrere Möglichkeiten, das einzuüben.
- Bei einer 45-minütigen bhavana (Übung) einmal 7 Minuten länger sitzen, bis es zur Gewohnheit wird. Dann wieder mal 7 Minuten hinzufügen, bis auch die 59′ gewohnt sind. Dann wieder 7 Minuten mehr usw. usf. Auf diese Weise lässt sich die Zeit beliebig erweitern, ohne den Eindruck zu bekommen, sich etwas Unzumutbares zuzumuten. Oft scheint es, als ob die echte Übung erst dann beginnt wenn die eingeplante bzw. gewohnte Zeitspanne vorüber ist.
- Nach einer Einheit sitzen bleiben, z.B. nach dem Gong oder wenn alle aufstehen.
- Während einer bhavana bewusst entscheiden, für eine bestimmte Dauer völlig reglos dazusitzen, z.B. die letzten fünf Minuten einer 30-minütigen Übung.
- Bei auftauchendem Schmerz nicht sofort bewegen, sondern erst beobachten, wo genau es weh tut und welcher Art der Schmerz ist. Dann langsam den Körper in eine ander Position bringen und dabei die Achtsamkeit auf Atem oder Körperempfinden aufrechterhalten.
Wenn dein Geist fest ist wie ein Fels
BUDDHA
und nicht länger schwankt
In einer Welt wo alles schwankt
Dann wird dein Geist dein bester Freund
Und kein Leid wird dir widerfahren
Um Leid und die Ursache des Leids zu verstehen, müssen wir Samsara, die Wirklichkeit des bedingten Entstehens und Vergehens, annehmen. Es ist notwendig, die Illusion als solche zu erkennen, die Illusion, in dieser Welt »wo alles schwankt« irgendetwas feshalten zu können oder irgendetwas Dauerhaftes finden zu können.
Auch das Leid anderer Wesen, denen wir momentan nicht helfen können oder die sich nicht helfen lassen, gilt es anzunehmen. Unser eigenes Leid basiert auf den eigenen absichtsvollen Taten, denen stets eine geistige intentionale Handlung vorausgeht. Wird der wilde Geist gezähmt, dann wird er der beste Freund, und es wird einfach, hilfreiche Taten zu vollbringen. Das kann ein freundliches Wort, eine nette Geste, eine unterstützende Haltung sein. Um Gleichmut in Bezug auf das Leiden anderer Menschen zu entfalten, erscheint mir in diesem Zusammenhang sehr nützlich sich daran zu erinnern, dass alle Wesen die Erben ihrer Taten sind. Ihr Glück oder Unglück hängt von ihren beabsichtigten Handlungen ab, nicht von meinen Wünschen für sie.
In buddhistischen Kreisen sagen wir oft: »Mögen alle Wesen glücklich sein.« Nun wohl, der Wunsch mag noch so stark sein, der Brief ans Universum abgeschickt, das Gespräch mit Gott geführt, das positive Denken eingeübt, das Gesetz der Anziehung studiert… und dennoch wird der Wunsch nicht erfüllt; für den Wünschenden selbst macht es einen Unterschied. Die Absicht ist es, die zählt. Und was, wenn es doch eintrifft? Besteht dann nicht die Gefahr sich hinreißen zu lassen und mitbestimmen zu wollen, wie das besagte Glück für diesen Menschen aussehen soll? Freiheit heißt in diesem Kontext schlicht und einfach, andere Menschen so sein zu lassen wie sie eben sind. Jegliche Bewertung ist »extra«, hinzugefügt zur gegebenen Sinneserfahrung, ein künstliches Anhängsel.
An dieser Bewertung hängen zu bleiben und sich selbst im Gegensatz dazu zu positionieren ist verführerisch. Durch die Objektivierung der Welt tritt erst das Ich ins Dasein. Die reine Wirklichkeitsschau wird vernachlässigt, Identität gestiftet. Darin besteht schließlich das Ego; daraus besteht es auch. Das »kleine ich« will ununterbrochen versichert sein, wer und was es im Vergleich zu sinnlich Wahrgenommenem ist oder nicht ist. »Bin ich ok?« »Hat der mich gemeint?« »Wie stehe ich nun da?« Das ist es nicht, was Marc Aurel in seinen Tagebuch-ähnlichen »Selbstbetrachtungen« verarbeitet. Er vermittelt den Weg zu stoischer Ruhe und angemessener Distanz zu sich selbst und zu den eigenen unrealistischen Forderungen ans Dasein im Kosmos.
Was bewirken solche Fragen? Wohin führen sie? Zur ständigen Fortschreibung seiner selbst – darin besteht Substanz und Funktion von Ego. Ein unendliches Unterfangen, und doch auf einige Jahrzehnte begrenzt. Sowohl Größenwahn als auch Selbstmitleid sind Egospiele – im Endeffekt zwei Seiten der gleichen Medaille namens SamSara.

Literatur zum Thema
Tara Brach beschreibt in ihrem Bestseller Radical Acceptance (2003) anhand eigener Erfahrungen und Geschichten, die das Leben schrieb, wie die Vorstellung der eigenen Wertlosigkeit (trance of unworthiness) durchbrochen werden kann. Dieses Buch hat mir nach einer Trennung geholfen hat, den scheinbaren Verlust zu verkraften und mein Leben in einem größeren Zusammenhang zu sehen.